Chronische, extrapulmonale Infektionen
Marre, Reinhard; Essig, Andreas
Zusammenfassung
Chlamydia pneumoniae ist ein obligat intrazellulärer, weitverbreiteter Erreger von Infektionen des Respirationstrakts, der möglicherweise auch chronische, extrapulmonale Erkrankungen hervorruft. Während die Datenlage für Erkrankungen wie multiple Sklerose, Morbus Alzheimer und chronisches Müdigkeitssyndrom noch spärlich ist, ließ sich C. pneumoniae in atherosklerotisch veränderten Gefäßproben von Patienten mit koronarer Herzerkrankung (KHK) nachweisen. Ergebnissen von In-vitro-Untersuchungen zufolge passt eine Gefäßläsion, bedingt durch C. pneumoniae, in das aktuelle Konzept der Atheroskleroseentstehung. Ein geeigneter diagnostischer Marker, der eine extrapulmonale (vaskuläre) C.-pneumoniae-Infektion zuverlässig erfasst, fehlt bisher. Für die Antibiotikabehandlung der mit C. pneumoniae assoziierten extrapulmonalen Erkrankungen, insbesondere der KHK, gibt es bisher keine Empfehlungen der wissenschaftlichen Fachgesellschaften. Unter Berücksichtigung des derzeitigen Erkenntnisstands erscheint eine Antibiotikatherapie dieser Erkrankungen außerhalb von kontrollierten Studien nicht indiziert.
Chlamydia pneumoniae ist erst seit circa zehn Jahren als Erreger von Infektionen des Respirationstrakts bekannt und offenbar auch in Deutschland, mit Seroprävalenzraten von bis zu 70 Prozent im Erwachsenenalter, weit verbreitet. Seit seiner Entdeckung wurden zunächst vor allem klinisch-epidemiologische Untersuchungen, später auch grundlagenorientierte Arbeiten vorangetrieben, die zu einem raschen Wissenszuwachs geführt haben. Weitere entscheidende Fortschritte bei der Aufklärung der molekularen Mechanismen von C.-pneumoniae-Infektionen sind zu erwarten, da inzwischen das komplette Genom des Erregers sequenziert wurde. Auslöser dieser verstärkten Forschungsanstrengungen dürften sicher aufsehenerregende Publikationen gewesen sein, die einen ätiologischen Zusammenhang mit der koronaren Herzkrankheit (KHK) postulieren. Weit entfernt von einer abschließenden Klärung dieser Frage, gibt es bereits neue Spekulationen über eine Beteiligung von C. pneumoniae bei der Entstehung weiterer chronischer Erkrankungen wie der multiplen Sklerose, dem Morbus Alzheimer, dem Asthma bronchiale, der reaktiven Arthritis und dem 16]. Schwerere Verlaufsformen münden in eine atypische Pneumonie, die in Deutschland bei circa 10 bis 15 Prozent der Patienten mit ambulant erworbener Pneumonie gesehen wird [24]. Es ist davon auszugehen, dass etwa 60 Prozent der Bevölkerung bis zum 20. Lebensjahr eine C.-pneumoniae-Infektion durchgemacht hat. Freymuth et al. identifizierten C. pneumoniae mittels PCR in 4,5 Prozent der kindlichen Patienten mit einer akuten Exazerbation des Asthma und schließen daraus, dass dieser Erreger eher eine seltenere Ursache der akuten Exazerbation ist [10].
Die mikrobiologische Diagnostik akuter Infektionen durch Chlamydia pneumoniae umfasst den Nachweis spezifischer IgM- und erhöhter IgG-Antikörpertiter sowie den zellkulturellen und molekularbiologischen Erregernachweis aus respiratorischen Sekreten [9]. Aufgrund immunologischer Kreuzreaktivitäten und häufig schwieriger Befundinterpretation sollte die serologische Diagnostik von einem mikrobiologischen Fachlabor durchgeführt und von einem erfahrenen Facharzt beurteilt werden. Der zellkulturelle und der PCR-Nachweis des Erregers wird bisher nur in Speziallaboratorien angeboten. Es bleibt abzuwarten, ob sich die Diagnostik der C.-pneumoniae-Infektion in den nächsten Jahren soweit verbessert, dass sie dem inzwischen guten Stand der Diagnostik von C. trachomatis entspricht.
Zur Therapie akuter C.-pneumoniae-Infektionen des Respirationstrakts kommt eine mindestens 14-tägige Behandlung mit Doxycyclin oder Erythromycin infrage, wobei aufgrund ihrer guten In-vitro-Wirksamkeit und Verträglichkeit zunehmend auch neuere Makrolid- oder Azalid-Antibiotika, die offenbar auch bei kürzerer Behandlungsdauer effektiv sind, eingesetzt werden.
Chronische Infektionen?
Diskutiert wird, ob auch chronische, extrapulmonale Erkrankungen wie die koronare Herzkrankheit und Atherosklerose, die reaktive Arthritis, die multiple Sklerose, der Morbus Alzheimer und das chronische Müdigkeitssyndrom von C. pneumoniae hervorgerufen werden könnten.
Insbesondere die zuverlässige Beweisführung einer Beteiligung von C. pneumoniae an diesen Infektionen ist problematisch, was sich am besten am Beispiel der koronaren Herzkrankheit veranschaulichen lässt:
Das sorgfältige Studium der Literatur macht deutlich, dass die für den Anfangsverdacht maßgeblichen seroepidemiologischen Arbeiten über einen Bezug zwischen C.-pneumoniae-Antikörpertitern und der koronaren Herzkrankheit nicht immer reproduziert werden konnten, was möglicherweise auf die unterschiedliche Berücksichtigung statistischer Störfaktoren zurückzuführen ist [8, 18, 22]. Es fehlt außerdem an einem diagnostischen Marker, der zuverlässig eine abgelaufene von einer (hypothetischen) chronisch-persistierenden Infektion, die für extrapulmonale Manifestationen verantwortlich gemacht wird, diskriminieren kann.
Die vermutete Assoziation zwischen spezifischen Antikörpertitern und koronarer Herzkrankheit initiierte Arbeiten zum Direktnachweis von C. pneumoniae mittels PCR aus atherosklerotischen Plaques. Leider konnten die bisher publizierten Befunde nicht zur Klärung beitragen, denn es findet sich eine enorme Schwankungsbreite der Befunde, wobei die Rate positiver Ergebnisse je nach Untersucher zwischen 0 und 100 Prozent liegt [4]. Diese Diskrepanz basiert am ehesten auf methodenbedingten Ursachen, die in einer mangelnden Standardisierung und Validierung der verschiedenen PCR-Verfahren zu suchen sind. Darüber hinaus ist, wie für jede andere diagnostische PCR, die Einhaltung strengster Qualitätskontrollen zu fordern, wenn reproduzierbare Ergebnisse erzielt werden sollen. Daher ist es eigentlich verwunderlich, dass viele der zu diesem Thema veröffentlichten Publikationen in Zeitschriften erscheinen, die auf dem Gebiet der klinischen Mikrobiologie und mikrobiologischen Diagnostik fachlich wenig ausgewiesen sind und somit vermutlich nicht auf Gutachter zurückgreifen können, die mit dieser Problematik vertraut sind. Erste Ringversuche mit definierten Chlamydien-versetzten (gespikten) Untersuchungsproben bestätigen, dass die Ergebnisse der teilnehmenden Laboratorien eine unakzeptable Diskrepanz aufweisen [persönliche Mitteilung Dr. J. Boman]. Ähnlich verhält es sich mit dem immunhistochemischen Nachweis des Erregers. Im Allgemeinen finden sich immunhistochemisch höhere Nachweisraten von C. pneumoniae aus Koronargefäßen im Vergleich zur PCR, wobei es unklar ist, ob dies durch eine höhere Sensitivität oder schlechtere Spezifität der Methode bedingt ist. Wenn in einer Studie sowohl die PCR als auch die Immunzytochemie eingesetzt wurden, finden sich nur selten Proben, die mit beiden Methoden als positiv bewertet wurden [20].
Die Situation wird noch komplizierter, indem offenbar bei gesunden Blutspendern in 46 Prozent der Fälle C. pneumoniae mittels PCR aus Monozyten detektierbar ist [5]. Damit besteht grundsätzlich die Möglichkeit der Kontamination von Blutgefäßproben oder anderen Gewebeproben durch C.-pneumoniae-positive Monozyten und die Gefahr, dass das untersuchte Gewebe zu Unrecht als C.-pneumoniae-positiv bewertet wird. Andererseits werden infizierte Monozyten wiederum als Carrier (Vehikel) angesehen, mit deren Hilfe sich Chlamydien theoretisch in Gefäßwänden absiedeln können.
Der Versuch eines zellkulturellen Erregernachweises aus Gefäßproben, der selbst bei akuten respiratorischen Infektionen mit hoher Erregerdichte wenig ergiebig ist, gelang bisher nur vereinzelt [17, 20]. Wenn sich diese Befunde durch weitere Arbeiten bestätigen lassen würden, wären sie allerdings ein sehr wichtiges Indiz für einen C.-pneumoniae-induzierten pathologischen Prozess.
Bei der Bewertung des Erkenntnisstandes sollte insgesamt weiterhin bedacht werden, dass stets ein erhebliches Bias bezüglich der veröffentlichten Daten besteht: Befunde, die die Hypothesen des Untersuchers bestätigen, werden eher zu einer Publikation zusammengeschrieben und zur Publikation eingereicht; Manuskripte, deren Daten die allgemein akzeptierten Vorstellungen unterstützen und gut in die wissenschaftliche Landschaft passen, werden leichter publiziert als Manuskripte mit Außenseiterbefunden. Es passt zu diesem Bias, dass Arbeiten über den Nachweis von C. pneumoniae aus Gewebeproben nur deshalb angezweifelt werden, weil ihre C.-pneumoniae-Nachweisrate gering ist [11, 14].
Koronare Herzkrankheit und Atherosklerose
Die Diskussion, ob C. pneumoniae mit der KHK assoziiert ist, wurde aufgrund seroepidemiologischer Studien von Saikku und Mitarbeitern 1988 im Lancet initiiert und in den vergangenen zehn Jahren zunehmend intensiver, kontrovers und auch emotional geführt. Zusammenfassend gilt: Es gibt zahlreiche Publikationen, in denen dargestellt wird, dass sich C. pneumoniae in atherosklerotisch veränderten Gefäßproben immunhistochemisch, elektronenmikroskopisch, molekularbiologisch und kulturell nachweisen lässt, allerdings sind die Befunde aufgrund der oben genannten Einwände umstritten. Dennoch erscheint es, aufgrund der enormen Auswirkungen dieser Befunde hinsichtlich Behandlung und Vermeidung der Atherosklerose, dringend geboten, die begonnenen Forschungsarbeiten weiter zu intensivieren. Dies umfasst insbesondere die Entwicklung eines diagnostischen Markers, mit dem chronische C.-pneumoniae-Infektionen zuverlässig erfasst werden, die molekulare Charakterisierung vaskulärer C.-pneumoniae-Infektionen mithilfe von geeigneten Infektionsmodellen, sowie die Durchführung kontrollierter Therapiestudien.
Pathogenetisch würde eine C.-pneumoniae-bedingte Gefäßläsion gut in das aktuelle Konzept der Atheroskleroseentstehung passen, dem die so genannte „response to injury“-Theorie von Russel Ross zugrunde liegt [21]. Demnach ist die Entstehung atherosklerotischer Läsionen die Folge einer chronisch-inflammatorischen Reaktion der Gefäßwand nach primärer Schädigung des Endothels und der glatten Muskelzellen durch verschiedene infrage kommende Noxen. In-vitro-Untersuchungen belegen, dass C. pneumoniae mit Endothelzellen, glatten Muskelzellen und Makrophagen prinzipiell alle relevanten Zelltypen humaner Gefäße infizieren kann, und dass die betroffenen Zellen mit einer Freisetzung von proinflammatorischen Zytokinen, Wachstumsfaktoren und vermehrter Expression prothrombotischer Stimuli reagieren [13]. Ferner konnte gezeigt werden, dass Chlamydia pneumoniae die Schaumzellbildung induziert, was als ein Schlüsselereignis der frühen Atherogenese gilt [15].
Außerdem hat ein Peptidfragment eines äußeren Membranproteins von Chlamydien große Homologien zum Myosin glatter Muskelzellen und kann damit durch molekulares Mimikry Autoaggressionsphänomene im Myokard auslösen [2]. Weiterhin ist seit langem bekannt, dass, wie die Beispiele von Chlamydia trachomatis und Chlamydia psittaci zeigen, chronisch persistierende Chlamydien-Infektionen nicht nur möglich, sondern häufig sind. Eventuell bilden Chlamydien nicht nur in vitro, sondern auch in vivo persistierende, wenig stoffwechselaktive Formen aus, die von der Infektabwehr nicht mehr beseitigt werden können. Inwiefern dabei eine veränderte Morphogenese von Chlamydia pneumoniae in glatten Muskelzellen eine Rolle spielt, müssen weitere Untersuchungen zeigen.
Erste Therapiestudien mit den Antibiotika Roxithromycin und Azithromycin bei allerdings relativ geringen Fallzahlen postulierten, dass Patienten mit instabiler Angina pectoris von einer Antibiotikagabe profitieren können, da bei den Behandelten im Vergleich zu Patienten, die ein Placebo erhielten, signifikant weniger schwere kardiale Ereignisse wie rekurrierende kardiale Ischämie, Herzinfarkt, oder Herztod aufgetreten sind. Wegen geringer Patientenzahlen ist mit diesen Daten die Diskussion zur Therapie höchstens angestoßen worden, eine abschließende Bewertung ist in weiter Ferne [1].
Beteiligung an weiteren Erkrankungen
Im Gegensatz zu veröffentlichten Studien über C. pneumoniae und KHK ist die Literatur zur Beteiligung von C. pneumoniae an Krankheiten wie multiple Sklerose, Morbus Alzheimer, chronisches Müdigkeitssyndrom und reaktive Arthritis noch spärlich und kann wie folgt zusammengefasst werden:
- Arbeiten aus der Gruppe von Hudson berichten über einen Nachweis von C. pneumoniae mittels PCR und Immunhistochemie aus Hirnbiopsieproben von Patienten mit Morbus Alzheimer [3]. Die immunzytochemischen Untersuchungen identifizierten C. pneumoniae in Perizyten, Mikroglia und Astroglia. Der in der Chlamydien-Diagnostik sehr erfahrenen Gruppe um Campbell gelang allerdings der Nachweis bei vergleichbaren Patienten nicht [19].
- Stratton und Mitarbeiter konnten in 64 Prozent aller Liquorproben von Patienten mit multipler Sklerose C. pneumoniae kulturell nachweisen. Die PCR war in 97 Prozent positiv, Liquor-Antikörper-Titer lagen im Durchschnitt um drei Standardabweichungen über denen der Kontrolle [23] Eine Bestätigung dieser Ergebnisse steht noch aus. Unveröffentlicht ist eine vergleichbare Studie von Boman, die diese Ergebnisse nicht bestätigen konnte.
- Erhöhte Antikörper-Titer gegen C. pneumoniae konnte die Gruppe von Chia et al. bei zehn Patienten mit dem chronischen Müdigkeitssyndrom zeigen [7]. Eine Therapie mit Azithromycin führte zu einem Rückgang der Beschwerden und zu einer Absenkung der Antikörper-Titer. Die Bestätigung dieser Befunde anhand eines größeren Kollektivs steht noch aus
- Serologische und klinische Hinweise auf eine kausale Bedeutung von C. pneumoniae bei reaktiver Arthritis fanden Braun und Mitarbeiter bei 5 von 70 Patienten und Hannu bei 4 von 35 Patienten [6, 12]. Anekdotische Berichte bestätigen dies. Trotzdem zeigen die klinische Erfahrung und eigene unveröffentlichte Untersuchungen, dass bei C.-pneumoniae-Infektionen eher flüchtige Arthralgien, jedoch im Gegensatz zur C.-trachomatis-Infektionen nur selten reaktive Arthritiden zu beobachten sind.
Überlegungen zur Therapie extrapulmonaler Infektionen
Für die Behandlung extrapulmonaler Erkrankungen, die mit C. pneumoniae assoziiert sein sollen, gibt es bisher keine offiziell publizierten Empfehlungen. Es sind auch keine allgemein akzeptierten Vorstellungen über die Ziele der Behandlung (Beschwerdefreiheit? Abfall der Antikörper-Titer?) oder die Therapieschemata (Langzeittherapie? Wiederholte Therapiezyklen? Therapiedauer? Dosis?) erarbeitet worden. Trotzdem stellt sich die Frage, ob es unter Berücksichtigung des derzeitigen Erkenntnisstands und der derzeitigen diagnostischen Möglichkeiten vertretbar ist, außerhalb von Studien Antibiotika zur Therapie einer angeblich chronischen C.-pneumoniae-Infektion zu verordnen. In die Beantwortung gehen Überlegungen zu dem Nutzen
einerseits und den Kosten, Nebenwirkungen der Therapie und Risiken der mikrobiellen Resistenzentwicklung andererseits ein. Auf der Basis einer evidenzbasierten Medizin ist aus unserer Sicht eine Antibiotika-Therapie der oben besprochenen chronischen Erkrankungen derzeit nicht indiziert.
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Anschrift für die Verfasser:
Dr. med. Andreas Essig
Abteilung Medizinische Mikrobiologie
und Hygiene der Universität Ulm
Robert-Koch Straße 8, 89081 Ulm
E-Mail: andreas.essig@medizin.uni-ulm.de
Abteilung Medizinische Mikrobiologie und Hygiene (Direktor: Prof. Dr. med. Reinhard Marre) der Universität Ulm
Anmerkung: Abbildungen fehlen